Eine Annäherung an Anne Frank
Verlag: cbj
erschienen: 2015
Seiten: 224
Ausgabe: Hardcover
ISBN: 3570171086
Klappentext:
Längst ist das lebenslustige jüdische Mädchen, das sich zwei Jahre lang in der Prinsengracht zu Amsterdam vor den Nazis verstecken konnte und dort Tagebuch führte, zu einer Ikone erstarrt und geistert als Lernstoff durch die Klassenzimmer Deutschlands. Waldtraut Lewin wagt es, das Denkmal von seinem Sockel und Anne in unsere Welt zu holen, um sie besser kennenzulernen. Bei ihrer fiktiven Begegnung lässt sie Anne staunen über das, was sich in den siebzig Jahren seit ihrem Tod verändert hat. Und erzählt ihr vom Staat Israel oder vom neuen Deutschland, in dem Juden leben dürfen und Menschen gegen Rechtsradikalismus auf die Straße gehen. Zusammen wagen sie den Blick von heute auf das Gestern und das Morgen
Rezension:
Die 1937 geborene Waldtraut Lewin befasst sich von jeher in ihren Büchern viel mit Judentum und Nationalsozialismus. Seit längerer Zeit lese ich ihre zweibändige Geschichte „Der Wind trägt die Worte“, ein Projekt über die Geschichte der Juden, welches ebenfalls beim cbj Verlag erschienen ist und das ich allen, die sich für das Thema interessieren nur wärmstens an Herz legen kann.
Im März jährt sich Annes Todestag zum 70. Mal und so ist ihr ein wiedererstarktes Medienecho in diesem Jahr gewiss. Die Gefahr ein pietätloses oder gar lächerliches Buch vorzulegen, nur um das Thema zu bedienen, ist also sicherlich gegeben, aber als ich „Wenn du jetzt bei mir wärst“ in der neuen cbj Verlagsvorschau sah, wusste ich, Lewin würde es mit dem nötigen Wissen und auch Feingefühl angehen und ich wurde nicht enttäuscht.
Ich muss vorab sagen, dass ich Anne Tagebuch nie gelesen habe. Ich kenne einige Verfilmungen und hoffe immer noch, dass sich mal jemand erbarmt und den wunderbaren Zweiteiler mit Ben Kingsley als Annes Vater auf DVD herausbringt. Natürlich ist mir Anne Frank auch ansonsten ein Begriff. Ich habe das Haus in der Prinsengracht in Amsterdam besucht und mich mit ihrer Geschichte beschäftigt, aber zum Tagebuch habe ich irgendwie keinen Zugang gefunden.
Aber auch gerade für solche Menschen eignet sich das vorliegende Buch. Natürlich setzt Lewin ein bisschen Wissen voraus, aber selbst Jugendliche dürften im Geschichtsunterricht schon die nötigen Eckdaten in Bezug auf Anne Frank vermittelt bekommen haben und so fällt der Einstieg in die Geschichte nicht schwer.
Auf nur wenigen Seiten gelingt es der Autorin Anne so zum Leben zu erwecken, wie ich sie mir immer vorgestellt habe. Selbstbewusst, lebensfroh, ein bisschen frech und laut. Glücklicherweise hält sich Lewin nicht damit auf, Anne sehr viel über die modernen Errungenschaften nachdenken zu lassen. Natürlich staunt sie über Handys, Internet und Co., aber sie nimmt all das doch sehr neugierig auf und findet sich schnell zurecht. Der Autorin geht es vielmehr zu reflektieren. Was geschah damals und was hat sich heute geändert oder nicht. Wie würde ein Opfer wie Anne Frank uns Menschen heute sehen. Welche Fragen würde sie stellen und wie würde sie auf die Antworten reagieren.
Darunter sind sowohl amüsante, als auch bedrückende Szenen. Gerade im Hinblick der letzten Monate in Deutschland mit Pegida und Co. kann man nicht genug über das Thema reden und vor Fremdenhass warnen. Auch dieses Buch leistet dazu seinen Beitrag.
Das einzige Manko an diesem kleinen Büchlein, ist seine Kürze. Lewin hat so viel Hintergrundwissen und Ideen auf Lager, dass sie doch so manches Mal an der Oberfläche bleiben muss. Spielend hätte man die Seitenzahl verdoppeln können, ohne langweilig oder eintönig zu werden. Dennoch habe ich auf den grad mal 200 Seiten einiges über die Vergangenheit erfahren, was ich noch nicht wusste und vielleicht lockt das eher übersichtliche Buch auch eher, als ein 500 Seiten Schmöker.
Wer dieses Buch liest, darf übrigens nicht erwarten, dass umfassend Annes Geschichte erzählt wird. Das ist nicht Lewins Intention. Wer also überhaupt nichts über Anne weiß, sollte sich vorab ein wenig informieren. Im Prinzip tut es da auch schon der Wikipedia Beitrag über das Mädchen. Auch historische und politische Gegebenheiten könnten nur angerissen werden, wecken aber auf jeden Fall die Lust auf weitere Informationen. Das Buch bietet da einen gelungenen Einstieg.
„Wenn du jetzt bei mir wärst“ ist ein wunderbares kleines Experiment, welches Anne für die heutigen Leser in die Gegenwart transportiert ohne ihr die Identität zu nehmen oder ihrer Vergangenheit den Schrecken zu nehmen. Aber es ist doch schön, das junge quirlige Mädchen lebendig zu sehen. Umso trauriger ist der Gedanke, was aus ihr hätte werden können. Wer sich für Anne, aber auch für die Geschichte der Juden interessiert, dem sei Waldtraut Lewins Buch sehr zu empfehlen.
Note: 2