Link, Charlotte: Sechs Jahre – Der Abschied von meiner Schwester

Verlag: Blanvalet
erschienen:
2014
Seiten:
320
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3764505214

Klappentext:

Auf eindringliche Weise berichtet Bestsellerautorin Charlotte Link von der Krankheit und dem Sterben ihrer Schwester Franziska. Es ist nicht nur das persönlichste Werk der Schriftstellerin, voller Einblicke in ihr eigenes Leben, sondern auch die berührende Schilderung der jahrelang ständig präsenten Angst, einen über alles geliebten Menschen verlieren zu müssen. Charlotte Link beschreibt den Klinikalltag in Deutschland, dem sich Krebspatienten und mit ihnen ihre Angehörigen ausgesetzt sehen, das Zusammentreffen mit großartigen, engagierten Ärzten, aber auch mit solchen, deren Verhalten schaudern lässt und Angst macht. Und sie plädiert dafür, die Hoffnung nie aufzugeben – denn nur sie verleiht die Kraft zu kämpfen.

Rezension:

Charlotte Link und ich passen eigentlich in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr zusammen. Ihre ganz frühen historischen Romane (besonders „Die Sterne von Marmalon“) fand ich klasse, mit ihren Krimis stehe ich jedoch auf Kriegsfuß, obwohl ich es wirklich bis zu „Der fremde Gast“ immer wieder probiert habe, weil ich ihren Schreibstil sehr mag. Jetzt zu sagen, ich habe mich gefreut, als ich dieses Buch in der Verlagsvorschau gesehen habe, ist wohl aufgrund des Themas von „Sechs Jahre“ fehl am Platz, aber dennoch kann ich sagen, dass ich es sofort lesen wollte.

Und das widerum obwohl ich sogenannten Erfahrungsbüchern nicht viel abgewinnen kann. Die ich bisher gelesen habe, waren alle voll mit Fotos und voller intimster Beschreibungen möglichst widerlicher Details. Nun könnte man sagen, tja, so isses halt, wenn einen der Krebs in der Mangel hat, aber ich persönlich muss dann nicht lesen,  wie kleine Kinder Bröckchen von ihren Schleimhäuten auskotzen (nein, das hab ich mir nicht ausgedacht, sondern wirklich so gelesen) – mir reichen auch subtilere Beschreibungen.

Vielleicht hat mich deswegen „Sechs Jahre“ so überzeugt. Charlotte Link erzählt das, was nötig ist, aber sie ist nicht sensationslüstern. Das macht ihr Buch übrigens nicht weniger eindringlich. Im Gegenteil! Ihr Buch ist immer dann so berührend, wenn sie über Liebe, Ängste, Hoffnung, Trauer und Wut schreibt. Über den Mut ihrer Schwester und über ihre eigene Verzweiflung.

In vielen Rezensionen habe ich gelesen, dass die Leute nicht verstehen, wieso die ansonsten sehr scheue Bestsellerautorin ein so persönliches Buch geschrieben hat und was sie damit überhaupt bezweckt, da Franziskas hoffnungsloser Fall doch besonders für Betroffene eher niederschmetternd ist. Bei so was frag ich mich immer, was erwarten die Leute eigentlich? Einen Regenbogen und fröhlich springende Einhörner am Ende des Buches, weil Krebs ja so eine lustige Sache ist? Es sollte doch jedem klar sein, was bei so einem Thema passiert. Zumal schon der Klappentext verrät, dass Franziska an der Krankheit gestorben ist. Wer das nicht lesen mag, der soll es lassen. Es gibt ja schließlich genügend Literatur für alle auf dem Markt. Aber einem Erfahrungsbericht über Krebs die Hoffnungslosigkeit vorzuhalten finde ich schon reichlich merkwürdig.

Ganz davon zu schweigen, dass es eigentlich gar nicht stimmt. Franziska gab man bei der Diagnose höchstens ein Jahr, doch sie überlebte fünf weitere, auch wenn ich persönlich sagen muss, dass besonders ihr letztes Jahr für mich eher unlebenswert erscheint. Sicherlich ist dies aber auch eine persönliche Sache. Wie viel kann ein Mensch aushalten? Wieviel Freunde und Familie? Ist es besser, wenn ein Leiden vielleicht ein Ende hat, bevor es unterträglich wird? Das sind alles Fragen, die ich mir beim Lesen gestellt habe und die aber jeder wahrscheinlich anders beantwortet. Franziska und auch ihre Familie scheinen sich an jede Sekunde geklammert zu haben. Ob dies am Ende richtig war, lässt sich dabei schwer sagen.

Erschüttert haben mich einige Szenen, in denen es um die Herzlosigkeit von Ärzten geht. Besonders die Szene, in der eine Onkologin Franziska vollkommen unvorbereitet ihr Todesurteil mitteilt. Ohne jegliches Mitgefühl. Charlotte Links Schwester erleidet danach einen Zusammenbruch, von dem sie sich seelisch nie wieder erholen wird. Bis zu ihrem Tod muss sie Beruhigungsmittel nehmen. Wie viel Schaden kann ein einzelner Mensch in einem unbedachten Moment anrichten. Ich persönlich habe große Hochachtung vor Ärzten und besonders vor dem Pflegepersonal. Mein Großvater leidet an Demenz und ist in einem Pflegeheim und ich kann mir nicht vorstellen, jeden Tag dort zu arbeiten. Dennoch habe ich persönlich nur freundliche Menschen mit sehr viel Herz und Geduld gesehen, deren lächerlich geringes Gehalt gar nicht das aufwiegen kann, was sie leisten. Allerdings muss ich auch sagen, wer zu diesen Eigenschaften nicht fähig ist, der darf einfach keinen medzinischen Beruf eingehen. Wer nicht mit Menschen kann, der darf kein Arzt werden, so toll er von mir aus auch operieren oder behandeln kann.

Gegen Ende des Buches gibt es noch einige andere Szenen, wo man Franziska eine Woche mehr oder weniger in einem Krankenhaus hat verhungern lassen. Hier muss ich allerdings auch sagen, dass ich ihre Familie nicht verstehe. Natürlich waren sie zu diesem Zeitpunkt nach jahrelangem Kampf und Leiden an der Grenze ihrer Belastbarkeit (oder vermutlich schon längst darüber hinaus), aber so eine Behandlung hätte ich mir niemals gefallen lassen. Hier hat mir im Buch an manchen Stellen der Widerstand gefehlt. Aber wie gesagt, das lässt sich als Leser und Außenstehende leicht sagen.

Charlotte Link ist es wichtig diese Missstände aufzuzeigen, ohne dabei aber die mitfühlenden Schwestern und Ärzte unter den Tisch fallen zu lassen. Sie beleuchtet beide Seiten und prangert auch durchaus die Zweiklassengesellschaft in unserem Krankenkassensystem an. Natürlich ist die Autorin und somit auch ihre Familie vom Schicksal begünstigt, da sie genügend Geld für private Versicherungen und alternative Behandlungsmethoden aufbringen kann. Letztlich ist das Leiden aber dasselbe. Vor dem Tod sind wir alle gleich und Angst vor Verlust und Schmerz fühlt sich für einen wohlhabenden Menschen genauso an, wie für einen Schlosser, der gerade mal so seine Familie durchbringen kann.

Einige Leser machen der Autorin den Vorwurf dieses Buch nur geschrieben zu haben, um das Geschehen persönlich zu verarbeiten. Dies ist sicherlich ein Faktor, den Link übrigens auch zugibt. Ich finde trotzdem nicht, dass das Buch zu persönlich geworden ist. Interessant finde ich übrigens, wie natürlich Franziskas und Charlottes Eltern, ihre Ehemänner und Kinder vorkommen, sie aber bis auf die Nennung der Namen für mich gesichtslos bleiben. Detailliert berichtet sie eigentlich nur von Franziska (die sich das Buch übrigens gewünscht hat) und sich selbst. Alle anderen behalten ihre Privatsphäre. Trotzdem ist nichts an diesem Buch oberflächlich, was sich schon daran messen lässt, dass ich überdurchschnittlich viele Taschentücher gebraucht habe. Im Gegensatz zu Filmen müssen sich Bücher schon mächtig anstrengen, um mir ein Tränchen zu entlocken.

Letztlich hat „Sechs Jahre“ sicherlich mehr Daseinsberechtigung als so manch unsinnige Promi-Biographie oder so manchem schwachsinnigen schriftlichen Erguss eines Politikers (manchmal ist das ja ein und dasselbe). Es gibt schlimmere Dinge als von zwei Schwestern z lesen, die sich so stark verbunden gefühlt haben, dass die eine der anderen ein Denkmal setzen möchte.

Ich bin übrigens gespannt, wie sich Charlotte Links Karriere nach diesem Buch und dieser persönlichen Tragödie entwickeln wird. Auch wenn ich sie natürlich nicht kenne, habe ich nach dem Lesen des Buches doch das Gefühl, dass sie mehr denn je fragil wirkt. Auch habe ich die Hoffnung, dass sie sich mal wieder etwas anderes traut, als die üblichen psychologischen Spannungsromane. „Sechs Jahre“ hat gezeigt, dass sie mehr kann.

Note: 2

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